weheg!!!!!!!!!! zur start site^^ bevor ich mir n Haustier zuleg
Sie folgen uns auf Schritt und Biss, denn wo Menschen speisen, fällt genug für Ratten ab. Keine Tierart beehrt und so penetrant wie diese Nager. Im Gegenzug bekämpfen wir nichts beharrlicher als sie. Sind nur tote Ratten gute Ratten?
Das Paradies liegt vor den Toren Roms. Acilia heisst der Ort, und keine Ratte lässt sich mehr von dort vertreiben. Die Nagetiere fressen sich durch jedes Material, spazieren in Scharen durch die Grundschule und versetzen Schüler und Lehrer in Panik. In der Mensa gibt es kein Mittagessen mehr, weil die Köchin streikt - wegen der Ratten. Lehrer müssen die Klassenzimmer täglich desinfizieren, denn die Eltern haben die Schuldirektorin wegen unhygienischer Verhältnisse angezeigt. Der Vorgarten des Paradieses ist Rom selbst. Experten schätzen, dass auf einen der sechs Millionen römischen Einwohner sieben Ratten kommen. Eine 2000 Jahre alte Senkgrube in der Altstadt ist die Heimat der grossen Nager. Rattenjäger mussten ihre Arbeit einstellen, weil dafür kein Geld vorhanden ist.
Die Ratten, die wir riefen: Es gibt nichts, was sie und uns mehr verbindet als unser täglicher Müll. Die Nagetiere folgen dem Naturgesetz der Nahrungskette und räumen im grossen Stil an: Noch bevor wir uns an den Herd stellen, fressen sie auf Getreideäckern und in Futtersilos ein Fünftel des Weltnahrungsvorrats auf. Hinzu kommen unerschrockene Exemplare, die städtische Vorratsräume plündern. Die neueste Attraktion dieser alten Zweckgemeinschaft heisst jedoch Komposthaufen. Allein deutsche Haushalte sammeln jährlich fünf bis sechs Millionen Tonnen Bio-Abfälle. Mit jedem umweltfreundlichem Komposthaufen eröffnen wir ein neues Paradies für Ratten.
Erst im Zuge der Mülltrennung locken umweltbewusste Bürger wieder Ratten an. Die neuen Komposthaufen enthalten Nahrungsreste, damit schon fein sortiert für die kleinen Müllverwerter: keine Metalle, keine Kunststoffe, nur das Beste aus der Küche. Das spricht sich unter Ratten herum. Wenn die Komposthaufen nur mit ein paar Brettern, gesichert sind, ist das Eindringen für die Kletterkünstler kein Hindernis. Auch moderne Behälter mit glatter Kunststoffschale halten den Ratten nicht immer stand, weil sie sich durch Belüftungslöcher beissen. Können Katzen oder Hunde um diese Komposthaufen streichen, vertreiben sie die Ratten. Denn diese Haustiere sind die natürlichen Feinde der Ratten.
Zum Segen der Menschheit?
Ratten folgen dem menschlichen Müll. Nicht allen ist dies vergönnt. Als Zuchttiere der Pharmaindustrie landen sie auf den Labortischen von Wissenschaftlern. Allein in Deutschland dienen jährlich über 400.000 Exemplare als Versuchstiere, überwiegend zur Entwicklung oder Prüfung von Arzneimitteln.
Neue Forschungsergebnisse bestätigen, dass die enge Beziehung zwischen Mensch und Ratte sehr nützlich für die Wissenschaft ist. So pflanzten Forscher der Havard Medical School in Boston menschliche Hirnzellen von Ungeborenen in Nager-Embryos, die sich zusammen mit dem fremden Gewebe entwickelten und - durch absichtliche Genveränderungen - einige Störungen in menschlichen Neuralstammzellen (zum Beispiel durch defekte Enzyme) überwanden. Neuralstammzellen sind das Ausgangsmaterial, aus dem alle spezialisierteren Zellen des zentralen Nervensystems hervorgehen.
Die Bostoner Forscher isolierten aus dem als gestört diagnostizierten Hirngewebe eines abgetriebenen Fötus einige noch überlebensfähige Zellen. Zusammen mit den gentechnisch veränderten Nager-Hirnzellen waren die Fötenzellen wieder in der Lage, ein Enzym zu produzieren, das für den biochemischen Haushalt von Lebewesen - in diesem Fall für Menschen - so wichtig ist.
Widersprüchliche Gemeinschaft
Ratten sind unsere ständigen Begleiter, ob wie sie lieben oder nicht. Rattenfan Sybille Schupp aus Stuttgart schwärmt von ihrer Ratte Rudi: "Es reichte schon, ihm in die Augen zu schauen, und ich hatte das Gefühl, er versteht mich. Wenn ich total verschlafen hatte, schnupperte Rudi zuerst an meinen Füssen, dann biss er kurz und schmerzhaft zu. Im Bad fiel er mich oft von hinten an und quietschte vor Vergnügen. Er konnte auch ganz lieb sein und kuschelte sich an mich, liess sich verwöhnen."
Die Kehrseite kann man in "Grzimeks Tierleben" lesen: "Mäuse und Ratten haben mit Flöhen, Läusen, Wanzen, Mücken, Fliegen - und in ihrem Gefolge Viren, Bakterien und einzelligen Schmarotzern - die Schicksale der Völker weit mehr bestimmt als Pfeil und Bogen, Schwerter und Lanzen, Maschinengewehr und Dynamit."
Menschen setzten sich seit jeher gegen Kreaturen zur Wehr, die ihnen ans Futter wollten. Ohne Erfolg. Ratten und ihre kleinen Verwandten, die Mäuse, folgten den Getreidesäcken bis auf die Schiffe und sorgten damit auch für die weltweite Verbreitung fieberhafter Krankheiten.
Anpassungsfähig und gelehrig
Im Gegensatz zu Nahrungsspezialisten wie dem Pandabär - der nur bestimmte Bambussprossen frisst und daher nur in begrenzten Biotopen überleben kann - meistern Ratten viele unterschiedliche Lebensbedingungen. Der Verhaltensforscher Irenäus Eibl-Eibesfeldt bezeichnet Ratten als "Neugierwesen", die aktiv mit jeder neuen Situation Erfahrungen sammeln.
Ihr geselliges Familienleben fördert dabei den ständigen Informationsaustausch. Rattenclans teilen sich Nahrungsquellen mit, wo immer sich diese auffinden lassen. Sie verständigen sich im Ultraschallbereich (bis zu 100.000 Hertz) - für Menschen unhörbar. Ihre hervorragende Lernfähigkeit ist berühmt. Bei allen Biologen gilt die Ratte als Massstab für tierische Intelligenz. Sie erledigt ihre Hausaufgaben (zum Beispiel das Herausfinden aus einem Labyrinth) besonders schnell, wenn am Ausgang eine essbare Belohnung winkt.
Mythos und Fluch
Das Verhältnis der Menschen zu Ratten ist nicht überall schlecht. Die Inder verehren sie. Im Tempel der Muttergöttin Durga leben etwa 20.000 Ratten. Sie verdanken ihren Schutz einer Sage: Kinder aus der Provinz Deshnoke fielen vor 500 Jahren einer Fieberkrankheit zum Opfer. Die Mütter baten Yama, den Gott des Todes, er möge ihre toten Kinder wieder zum Leben erwecken. Yama konnte diesen Wunsch nicht erfüllen, soll aber versprochen haben, dass die Kinderseelen in den Körpern von Ratten weiterlebten. Noch heute servieren Gläubige den Ratten dieses Tempels Reis in silbernen Schüsseln.
Auch die Chinesen verehren die Ratte. Wegen ihrer Fähigkeit, Vorräte zu finden und zu hamstern, gilt sie als Symbol des Fleisses und Wohlstands. Mayas und Indianer glauben an sie als weiser Glücksbringer. Nur in Europa hat die Ratte einen miesen Ruf. Die ersten Reisenden brachten sie im 12. Jahrhundert aus der Mongolei mit. Und mit ihnen verheerende Krankheitsüberträger: Die Flöhe der Ratten brachten die Pest über das mittelalterliche Europa. Durch menschliche Unhygiene verbreiteten sich die Bakterien schnell. Im Gefolge dieser Schuldzuweisung auf die Ratte verbreiteten sich unheilvolle Geschichten - unwahre dazu (siehe "Der Rattenfänger von Hameln").
Abzeichen der Ausgestossenen
Ausser einigen Wissenschaftlern haben nur wenige einen Narren an der Ratte gefressen. Sich unverstanden fühlende Jugendliche entdeckten in den 80er Jahren den Nager als einzigen Freund: Punks, die persönliche Ratte stets wie ein Abzeichen der Untergrund-Kultur geschultert. Was menschliche Kellerkinder zu diesen tierischen hinzog, ist psychologisch zu erklären: Zusammengehörigkeitsgefühl unter gesellschaftlichen Aussenseitern.
Heute kämpfen Rattenfans eher spiessbürgerlich für die "Wahrung der Rechte der Ratten", wie der als Verein organisierte Rattenclub Berlin-Brandenburg. Sie fanden heraus, dass rotäugigen Ratten ein Farbpigment (Melanin) in der Regenbogenhaut (Iris) der Augen fehlt. Melanin ist aber für das Scharfsehen wichtig, und um besser sehen zu können, bewegen diese fehlsichtigen Ratten ihren Kopf hin und her. Rattenfreaks nennen es "Schreibmaschine schreiben". Die Fans werden trotz ihrer Aufklärungsarbeit in der Minderheit bleiben, ganz im Gegensatz zu ihren tierischen Freunden.
Der Rattenfänger von Hameln
ist eine mittelalterliche Sage nach der 1284 ein Pfeifer 130 Kinder aus Hameln entführt haben soll. Er zog vor allem durch die ängstlichen Köpfe des Volkes. Es bezichtigte ihn, durch verführerische Flötentöne nicht nur Ratten, sondern Kinder anzulocken. Beide liefen ihm nach. Wahr ist lediglich dass viele Kinder und Jugendliche auf Befehl des Bischofs von Olmütz auswandern mussten, weil er auf eine Besiedlung Mährens hoffte.
